Brainticket |
Informationen
Allgemeine Angaben
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Besetzung
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Tracklist
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Rezensionen
Von: Jürgen Gallitz-Duckar (Rezension 1 von 4)
Darfs etwas ultra-psychedelisches sein? Probiert doch mal "Cottonwoodhill", das Debut-Album von Brainticket aus dem Jahre 1971. Die Schweizer Band mit dem belgischen Kapitän war von Anfang an auf nem ganz besonderen Trip. Auf den ersten Alben noch in großer Besetzung tätig, kristallisierte sich mit der Zeit immer mehr Joel Vandroogenbroeck als "Brainticket" heraus. Und dessen Vision ist kosmisch (wohl unterstützt durch gewisse Substanzen).
"Black Sand" startet noch sehr eingängig das Album. Ein treibender, perkussiver Song mit Heavy-Hammond Orgel und von Zeit zu Zeit einem verfremdeten "Black Sand" Refrain (klingt irgendwie wässrig die Stimme hier), der sofort von einem sehr einprägsamen Hammond Akkord gefolgt wird und sich schnell im Hirn festbohrt. Sozusagen das Brainticket ins eigene Gehirn, da es hier für Frühsiebziger Verhältnisse noch sehr gewohnt zugeht. Ich würde den Song sogar bei jedem 70ies Abend in der Rockdisco empfehlen, da er durchaus "groovy" ist.
"Places of light" kommt mit ner funky Eröffnung auf der Gitarre, danach eine schöne getragene Flöte, bevor mit nem wilden Orgel Einsatz wieder die Reise losgeht. Hier taucht auch schon die Stimme von Dawn Muir auf, die hier ebenfalls wiederum zittrig, wässrig, so als ob sie unter Wasser singt, klingt. Allerdings sind das immer nur kurz hingeworfene Sätze, Satzfragmente oder ähnliches - kein Gesang im üblichen Sinn.
Ja, und dann beginnt die lange Reise "to the center of your mind". "Brainticket", unterteilt in drei Teile, heißt der Song. Recht viele Bands im Psychedelic Bereich schmücken ja den einen oder anderen ihrer Songs mit dem Etikett "Trip". Vergesst es. DAS hier ist ein Trip und kein Song mehr.
Es beginnt mit zerschmettertem Glas, ein Auto startet, wir hören eine Feuerwehrsirene, und dann beginnt der Rhythmus-Sog der hauptsächlich aus einer sich immer und immer wieder repetierenden Orgel, unterlegt mit Percussion (nicht im Vordergrund zu vernehmen) und allerlei Geräuschen besteht. Und dazu läuft Dawn Muir zu Hochform auf, nachdem wohl die kleinen bunten Pillen ihren Job getan haben.
Gnadenlos treibt das Stück vorwärts, wirkt irgendwie dunkel, wir vernehmen bald nur noch die immergleichen Orgelakkorde, und die Geräusche schrecken einen hoch. Ein Wecker rasselt schrill, Dawn's Stimme erzählt und erzählt, wird teilweise immer gehetzter, immer schriller, als ob sie bedroht wird, klingt es, dann ein fieses Lachen, das schon wieder im Hammond-Akkord untergeht, Regen, ein Gurgeln von Wasser usw - alles taucht im Mahlstrom der treibenden Orgel auf und verschwindet wieder. Nach 8 Minuten gibt's nen kleinen Fade-Out, um dann in "Brainticket Part One Conclusion" das ganze wieder aufzunehmen. Die Veränderung hier sind nur Nuancen, andere Samples (würde man heute sagen), die Stimme wird mal anders eingesetzt etc., um dann nach viereinhalb Minuten mit dem Beginn von Beethovens Neunter abrupt abzubrechen. In "Brainticket Part Two" geht's dann genauso weiter. Anfangs vernimmt man deutlicher die funky Gitarrenakkorde, um dann aber wieder der gehetzten Frauenstimme zu verfallen.
Fazit: Für mich ein absoluter Psychedelic Knaller, mehr psychisch als die meisten anderen. Aber - und das meine ich ernst: Sehr sehr stressig. Ich kann mir das Album selten komplett am Stück anhören, denn alleine die fast ständig gehetzte Frauenstimme lässt die Nerven senkrecht stehen. Wer sich müde fühlt, aber gerne die Nacht durchmachen möchte, sollte statt oral zugeführter Muntermacher es mal mit diesem Scheibchen hier versuchen.
P.S: Das Cover illustriert die Musik auf den Punkt. Eine verzweifelt schreiende Frau mit herausquellendem Hirn, verschlungen vom Strudel.
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Von: Achim Breiling @ (Rezension 2 von 4)
"Cottonwoodhill" ein Meisterwerk? Na ja, kultig ist das Teil zumindest und in gewissem Sinne auch recht einzigartig.
Psychedelischen Krautrock gibt es hier zu hören, der am ehesten noch an die Münchner Amon Düül 2 erinnert. Dominiert und zusammengehalten wird diese Musik vor allem von der Hammond Orgel, die alle Stücke beherrscht. Dazu gibt es etwas Flötenspiel, diverse Klang- und Tonbandschnipsel, elektronische Sounds und den seltsamen, drogenschwangeren Gesang von Mrs. Muir. Bass, Schlagzeug und Gitarre halten sich meist eher im Hintergrund auf.
Die ersten beiden Stücke sind eigentlich nicht schlecht. Hier ist noch eine Band im Einsatz, das Flötenspiel macht Spaß, und auch die Gitarre kann sich mal ein wenig in den Vordergrund spielen. Aber schon hier dominiert die Orgel mit leicht repetitiven Mustern und erschlägt fast den Rest der Band. Extrem wird das im 3-teiligen "Brainticket" (warum das Werk - auf der LP zumindest - durch Ein- und Ausblenden in 3 Teile geteilt wurde, ist allerdings etwas unverständlich). Eine kurze Akkordfolge auf der röhrenden Orgel, immer wieder und immer wieder ... 25 Minuten lang, mit kurzen Unterbrechungen. Dazu gibt es Geräusche, Krach, Tonbandfetzen, Perkussion, ein wenig Rockband (die offenbar in einem anderen Raum spielt und daher meistens kaum oder gar nicht zu hören ist) und durchgeknallte Vokaleinlagen. Durchaus interessant ist die Grundidee dieses Stücks ja schon, aber dieses endlose, repetitiv-hypnotische Orgelgrundmuster glänzt nicht unbedingt durch großen Einfallsreichtum. Da hätte man doch z.B. das "Motiv" durch die verschiedenen Instrumente führen oder Flöte, Bass, Schlagzeug und Gitarre stärker miteinbeziehen können. So kommt schnell Langweile auf. Da helfen auch die abgefahrenen Klänge, Geräusche und Stimmeinlage nichts. Als "Muntermacher" kann ich die Scheibe wirklich nicht empfehlen! Auf mich hat das Ganze nämlich die gegenteilige Wirkung: Einschläfernd! Das ist wie damals, als Oma abends, mit monotoner Singsangstimme, ein Märchen vorgelesen hat. Nach 5 Minuten war man im Reich der Träume.
Wer monotone aber abwechslungsreiche - auch wenn das ein Widerspruch zu sein scheint - Musik hören möchte, sollte lieber mal die frühen Can bemühen. Vielleicht ist "Cottonwoodhill" wirklich eine der psychedelischsten Psychedelic-Scheiben, aber gerade das ist mein Problem. Mir klingt das Ganze zu stark nach Acid-Ego(Orgel)-Trip. Für den, der den Trip macht ist das wohl recht faszinierend, für die Zuschauer(hörer) aber ziemlich langweilig. Trotzdem, "Brainticket" sollte man schon mal gehört haben!
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Von: Jörg Schumann @ (Rezension 3 von 4)
An dieser Stelle möchte ich einmal Werbung für den hervorragenden Internet-Radiosender "Delicious Agony" machen, dem ich es zu verdanken habe, dieses Album kennengelernt zu haben. Ein faszinierendes Erlebnis, wie ich vorausschicken möchte.
Ich halte es bei der Einschätzung dieses Werkes mit Jürgen: auch für mich ist "Cottonwoodhill" ein kleines Meisterwerk. Ich gehöre ansonsten nicht zu denjenigen, die mit Psychedelic besonders viel am Hut haben. Aber das Titelstück ist tatsächlich ein fast endloser Trip von beeindruckender Intensität und Eindringlichkeit, der man sich nur schwer entziehen kann.
Die sich durch das ganze Stück ziehenden repetitiven Orgelakkorde beginnen eigentlich schon im opener "Black Sand". Hier sind sie jedoch noch dezent im Hintergrund gehalten und in ein zugängliches Instrumental verpackt, in welchem eine schrille E-Gitarre und ein schlagender Bass die Hauptrolle spielen.
Das groovige "Places Of Light" fügt dem Grundsound noch eine zarte Flötenlinie und den Sprechgesang Dawn Muirs hinzu. Noch ahnt man nicht, was einen gleich erwartet...
"Brainticket (part one)" beginnt mit zersplitterndem Glas, einem startenden und davonrasenden Auto, Gehupe und Sirenengeheul. Dann folgen die Orgelakkorde, die einen die folgenden 26 Minuten hypnotisieren und in ihren Bann ziehen werden. "Garniert" mit verschiedensten Klängen, Effekten und Geräuschen pulsiert das Stück voran. Kurz ausgeblendet geht es in der "Conclusion" weiter, vor "Brainticket (part two)" nur durch den Anfang von Beethovens fünfter (!) Symphonie unterbrochen.
Über dem Soundfundament schwebt die intensive und ausdrucksstarke Stimme von Dawn Muir. Mal flehend, oft schreiend, mal gehetzt, dann ängstlich bis panisch erzählt sie uns von ihren Abgründen, von Existenz, Sex, Gefühlen. Das Stück zieht einen wie in einen Strudel hinein. Monoton, hypnotisch, gnadenlos.
Ich möchte Achim widersprechen: hätte man in die Komposition Variationen eingebaut, wäre genau der Effekt, der "Brainticket" ausmacht, verlorengegangen. Wäre vielleicht auch interessant gewesen, aber anders. Einschlafen kann ich bei "Brainticket" auch nicht. Es kratzt vielmehr auf. Mein 11-jähriger Sohn meinte, dabei könne man sich sehr gut konzentrieren.
"Cottonwoodhill" sollte man kennen. Eine beeindruckende Platte aus Helvetien.
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Von: Christian Rode @ (Rezension 4 von 4)
2013 gibt es eine Wiederveröffentlichung des „Krautrock“-Klassikers aus dem Jahr 1971. Es gibt nicht viel Neues dazu zu sagen, denn abgesehen davon, dass die Scheibe soundmäßig super und klar rüberkommt, enthält sie kein bisschen Bonus-Material, was ja mal zu erwarten gewesen wäre... Da bin ich schon etwas enttäuscht. Immerhin enthält das 8-seitige Booklet eine lesenswerte englischsprachige Einführung in die Geschichte und den Sound von Brainticket vom Rockjournalisten Dave Thompson (dem Leser dieser Seiten eventuell bekannt als Biograph von Genesis und 10cc).
Musikalisch bildet dieses Album aus der Spätphase der Psychedelic und Hochphase des Krautrock in etwa die Schnittmenge zwischen pulsierendem, orgeldominiertem Psychedelic Rock a la Birth Control und heftig chaotischem Krautrock a la Amon Düül II. Die ersten beiden Stücke klingen dabei gut strukturiert, haben eine Menge Drive und machen dem Fan dieser Art von Musik gewiss ganz viel Spaß. Mir geht's jedenfalls so. Aber bei dem 25-minütigen Trip „Brainticket“ überreißt die gleichnamige Band doch ganz heftig. Zurecht merkt Jürgen an, dass dies ein Trip und kein Song mehr ist... Ich sag mal: die Jungs haben sicher gut was eingeworfen und letztlich jedes Maß verloren. Es ist ein bisschen wie Revolution No. 9 von den Beatles zu einem Rhythmus, der sich in die Hirnrinde einbrennt.
Zunächst lässt es sich noch in gewohnt dynamischer Weise an, aber dann geht zu einem knackigen, repetitiven Ryhthmus einfach alles drunter und drüber, mit viel Frauengestöhne, Sprachfetzen, Geräusch und Effekten und mit der Zeit zehrt es an den Nerven oder langweilt ein wenig, wenn man nicht gerade psychedelische oder andere Stimulantien, die das Hirn in einen komatösen Rausch versetzen, geschluckt hat... Insofern halte ich die Einwände von Achim für gut nachvollziehbar.
Trotzdem bleibt das Debut „Cottonwoodenhill“ in seiner suggestiven Wirkung und seinem Rausch ein Klassiker dieser Phase psychedelischer Musik und kann Fans nur empfohlen werden!
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Alle weiteren besprochenen Veröffentlichungen von Brainticket
Jahr | Titel | Ø-Wertung | # Rezis |
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1972 | Psychonaut | 5.50 | 2 |
1973 | Celestial Ocean | 9.50 | 2 |
1980 | Adventure | 10.00 | 1 |
1982 | Voyage | 10.00 | 1 |
2000 | Alchemic Universe | 8.00 | 1 |
2011 | Live in Rome 1973 | 9.00 | 1 |
2015 | 10.00 | 1 | |
2018 | Zürich/Lausanne | 11.00 | 1 |
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